07.06.2022

"EU schafft sozialpolitische Kehrtwende"

Einigung auf Richtlinie zu fairen Mindestlöhnen

Vertreterinnen und Vertreter von Europäischem Parlament und französischer EU-Ratspräsidentschaft haben sich in der Nacht zum heutigen Dienstag auf die Richtlinie zu fairen Mindestlöhnen geeinigt. Neben Standards für nationale Mindestlöhne geht es darin darum, dass mehr Beschäftigte in der EU durch Tarifverträge geschützt werden.


Gaby Bischoff, S&D-Vizepräsidentin sowie sozial- und beschäftigungspolitische Sprecherin der SPD-Europaabgeordneten:

"Armut trotz Arbeit soll es in Europa nicht mehr geben. Künftig werden endlich angemessene Mindestlöhne für Millionen von Europäerinnen und Europäer greifen. Diese Einigung ist ein Erfolg für die europäischen Beschäftigten und Europas Sozialdemokratie. Wir haben uns jahrzehntelang für diese klare, europaweite Messlatte für angemessene Mindestlöhne eingesetzt und hatten diesen Vorschlag zur Bedingung gemacht, um das Arbeitsprogramm dieser EU-Kommission zu unterstützen.

Heute kämpfen laut Eurostat mehr als zwei Drittel der Mindestlohn-Empfänger*innen darum, über die Runden zu kommen. Verkäufer*innen, Paketzusteller*innen oder Beschäftigte in der Pflege halten unsere Gesellschaft am Laufen, sind aber drastisch unterbezahlt. Viele arbeiten eine harte 40-Stunden-Woche, sind aber derzeit nicht in der Lage, die explodierenden Lebensmittel- und Energiepreise zu bezahlen. Es ist höchste Zeit, diesen Abwärtstrend umzukehren und Umverteilung von unten nach oben mit Vereinbarungen wie dieser Richtlinie zu bekämpfen.

Der Lohn der europäischen Beschäftigten muss die Kosten für Essen, Miete und Heizung decken, aber auch ermöglichen, sich neue Kleidung zu leisten oder ab und zu Urlaub zu machen. Derzeit erfüllen 18 EU-Länder die Kriterien des EU-Parlaments dafür nicht. Die EU-Länder sollen ihre Mindestlöhne künftig an internationalen Maßstäben messen; mindestens die Hälfte des jeweiligen durchschnittlichen Bruttolohns und 60 Prozent des Medianbruttolohns.

Die Richtlinie kann zudem mittelfristig dazu beitragen, die Tarifbindung zu stärken und so für bessere Einkommen sorgen. Sollten in einem Mitgliedstaat weniger als 80 Prozent der Arbeitsverhältnisse unter den Geltungsbereich von Tarifverträgen fallen, sollen die Mitgliedstaaten künftig Aktionspläne entwerfen und umsetzen, um Tarifverhandlungen zu fördern.

Die EU-Regierungen sollten dieser Einigung zustimmen. Die EU hatte sich mit der Erklärung von Göteborg bereits zum Recht auf angemessene Mindestlöhne bekannt. Arbeit muss sich lohnen."



Die EU-Regierungen werden voraussichtlich am Donnerstag, 16. Juni 2022 mit qualitativer Mehrheit über die politische Einigung entscheiden. Der Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments soll im Juni über die Richtlinie abstimmen, im September könnte das Plenum votieren. Nach der Verabschiedung hätten die EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in nationales Recht umzusetzen.

Laut Eurostat ist jeder zehnte europäische Beschäftigte von Armut bedroht, wobei diese Zahl bei Arbeitnehmer*innen mit Zeit- oder Teilzeitbeschäftigung auf jeden sechsten ansteigt. Laut Hans-Böckler-Stiftung sind 60 Prozent der Mindestlohnempfänger*innen Frauen.

Die europäische Richtlinie sieht weder einen einheitlichen Mindestlohn für alle EU-Länder noch verbindliche gesetzliche Mindestlöhne vor, noch wird der nationale Mindestlohn von Brüssel festgelegt. Das Recht der Sozialpartner, Löhne auszuhandeln, zu überwachen und festzulegen, bleibt unangetastet. Kollektivverhandlungen sind Vorrecht der Gewerkschaften.  Die Richtlinie legt einen angemessenen Lebensstandard als Maßstab für die nationalen Mindestlöhne fest, wodurch die Mindestlöhne für Millionen Europäer*innen nach oben korrigiert werden.