19.11.2015

Zehn Punkte gegen gewaltbereite Extremisten aus innenpolitischer Sicht

Die erneuten Anschläge in Paris erschüttern das Vertrauen in die Prävention von Radikalisierung und die Ermittlung von gewalttätigen Extremisten in Europa. Die Europa-SPD pocht auf eine Politik der inneren Sicherheit mit Augenmaß. Wir wollen ein Europa der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität, das seine Bürger schützt, ohne dafür seine Werte zu verraten. Die Europa-SPD hat als Diskussionsbeitrag zehn Antworten auf das Phänomen des gewaltbereiten Extremismus. Die ersten fünf Punkte erleichtern die Ermittlung von und die Fahndung nach Gewaltbereiten, die letzten fünf Aspekte sind vorbeugende Maßnahmen. 1) Mehr und besser ausgebildete Polizisten: Die EU-Staaten müssen dafür sorgen, dass den nationalen Polizeibehörden genügend Personal zur Verfügung steht, damit sie ihren Schutzfunktionen vollumfänglich nachkommen können. Eine lückenlose Rund-um-die-Uhr-Überwachung jedes potentiellen Gefährders ist jedoch auch mit Personalaufstockungen illusorisch. Neben der Zahl der Mitarbeiter ist deshalb der Informationsaustausch zwischen Behörden unterschiedlicher Ebenen und Länder sowie die Ausbildung des Personals wichtig. Zunehmend findet die Radikalisierung über Online-Medien statt, sodass Fahnder entsprechende Sprachkenntnisse haben und sicher mit digitalen Medien, einschließlich Online-Spielen, umgehen können müssen. 2) Schneller und besserer Informationsaustausch: Die europäischen Polizeibehörden nutzen kaum gemeinsame Datenbanken oder standardisierte Kommunikationskanäle. Die EU-Staaten müssen Informationen zu verdächtigen Entwicklungen effizienter austauschen, zum Beispiel über das Schengener Informationssystem (SIS II) zur Personen- und Sachfahndung. Die bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich des Datenschutzes in der Strafverfolgung kann die EU durch die Verabschiedung der derzeit verhandelten Richtlinie für den Datenschutz in diesem Bereich lösen. Nur so schaffen wir auch mehr Rechtssicherheit für die fortschreitende Bündelung von Informationen zur Terrorismusabwehr beim europäischen Polizeiamt Europol. Neben den Polizei- und Justizbehörden müssen auch die Geheimdienste der einzelnen Mitgliedstaaten besser kooperieren. Hier sehen wir noch großen Nachholbedarf. 3) Konsequente Strafverfolgung: Die EU-Staaten müssen ihr nationales Strafrecht stärker vereinheitlichen, um grenzüberschreitende Strafverfolgung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Standards zu vereinfachen. Der derzeit gültige EU-Rahmenbeschluss 919 von 2008, der den Mitgliedstaaten Mindeststandards bei der Strafbarkeit terroristischer Handlungen vorgibt, sollte reformiert werden. Nur als letzte Möglichkeit muss auch die Einziehung von Reisepässen möglich sein. 4) Austausch effizienter Praktiken: Die EU braucht einen stärkeren Austausch von bewährten Praktiken, damit alle involvierten Akteure von dem entwickelten Know-How profitieren können. Das europäische Anti-Radikalisierungs-Netzwerk RAN (Radicalisation Awareness Network) etwa, das europaweit Praktiker zum Thema Radikalisierung zusammenbringt, leistet hier schon wertvolle Arbeit. Es muss weiter finanziell gestärkt sowie bekannter gemacht werden. 5) Online-Hassreden konsequent begegnen: Bei der Verbreitung extremistischer Inhalte spielen Online-Medien eine wichtige Rolle. Die Kommunikation zwischen staatlichen Behörden und Internet-Service-Anbietern muss daher verbessert werden. Internet-Anbieter haben eine besondere Verantwortung. Wenn sie Hinweise auf illegale Inhalte erhalten, müssen sie die zuständigen Behörden unverzüglich aufmerksam machen. Auf Basis eines rechtmäßigen Verfahrens müssen solche Inhalte anschließend von den Anbietern entfernt werden. Die grenzüberscheitende Kooperation muss auch in diesem Bereich gestärkt werden. Die neu geschaffene "Internet Referral Unit" beim Europäischen Polizeiamt Europol zur Identifizierung von illegalen Online-Inhalten ist ein begrüßenswerter Schritt, der aber noch auf eine solide rechtsstaatliche Grundlage gestellt werden muss. Zudem brauchen wir starke Gegennarrative, um extremistische Propaganda zu entlarven, auch durch die Einbindung von Vorbildern wie Fußballspielern oder Musikern. 6) Radikalisierung im Strafvollzug vorbeugen: Strafvollzug muss dem Ziel der Wiedereingliederung in die Gesellschaft dienen. Die teils sehr schlechten Bedingungen in europäischen Gefängnissen können zu einer Verbreitung extremistischer Ideologien unter auch zunächst moderaten Insassen beitragen. Der Strafvollzug braucht genügend und gut ausgebildetes Personal, das extremistische Tendenzen frühzeitig erkennt. Gut ausgebildete Seelsorger und Imame können Halt in einer Zeit der Identitätssuche bieten und dazu beitragen, fanatisch religiöse Parolen zu widerlegen. 7) Unterstützung beim Ausstieg aus extremistischer Szene: Flächendeckende Exit- und Rehabilitationsprogramme für radikalisierte Bürger und Rückkehrer aus Kriegsgebieten sind effizient für den Ausstieg aus radikalisierten Kreisen. 8) Dialog mit muslimischen Vertretern stärken: Die EU-Staaten müssen den Austausch mit muslimischen Verbänden in Europa fördern und so moderate Kräfte weiter stärken. So werden wir ein glaubhafter Partner für den Brückenbau in muslimisch geprägten Ländern außerhalb der EU. 9) Prävention durch Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen müssen Schüler in die Lage versetzen, Stereotypen und Hassbotschaften zu entlarven und kritisch zu hinterfragen - sowohl auf der Straße als auch im Internet. Durch die Schule vermitteltes Wissen über Religionen kann ebenfalls zum Abbau von Vorurteilen beitragen. Zudem müssen wir dem Thema Radikalisierung eine stärkere Rolle in der Aus- und Weiterbildung etwa von Justizbeamten, Polizisten, Sozialarbeitern und Lehrern einräumen. Nicht jeder Radikalisierte wird automatisch gewalttätig oder reist in ein Bürgerkriegsland zur Teilnahme an Kampfhandlungen. Der Fokus muss auf einer frühzeitigen Intervention liegen, die bereits beginnt, bevor Menschen sich radikalisieren oder bereits Radikalisierte sich Gewalt zuwenden. 10) Konsequentes Bekenntnis zu einer inklusiven Gesellschaft: Europa zeichnet sich durch gleichberechtigtes Miteinander verschiedener Kulturen aus. Wir Sozialdemokraten verstehen den Islam als Teil Europas. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass viele Menschen mit einem Zuwanderungshintergrund sich in der EU ausgegrenzt fühlen. Ausgrenzung ist aber nicht nur auf Zugewanderte begrenzt, etwa beim fehlenden Zugang zu guter Bildung und guter Arbeit. Wir brauchen deshalb ein stärkeres Bekenntnis zur sozialen Dimension Europas, etwa durch die Stärkung des Europäischen Sozialfonds und mehr Mittel für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Europäische und nationale Investitionen müssen Hand in Hand gehen. Ebenso werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht zulassen, dass Europa sich gegen Menschen stellt, die vor Krieg und Verfolgung zu uns fliehen. Wir müssen eine Gesellschaft der Chancengleichheit und des Respekts vor unserer Vielfalt schaffen. Nur so können wir die Werte schützen, die unser europäisches Fundament bilden: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit.